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28. Dezember 2004. Nachrichten: Natur & Umwelt - Indien Der Tsunami und eine Touristin

Eindrücke aus dem indischen Kerala

Trissur, 28.12.04 Der Fischmarkt in Trissur bietet heute nur ein sehr kleines Angebot. Viele Fischerboote sind zerstört worden, Fischer sind umgekommen, Fischerdörfer wurden in Sekunden weggespült. Zwei Tage nach dem die Tsunami-Welle Kerala erreicht hat, herrscht Angst an der Küste. Es könnte eine zweite Welle kommen, glauben viele. Keiner weiß so recht, ob das stimmt. Fischerdörfer werden evakuiert. Das merkt man dann auch auf Trissurs Fischmarkt, obwohl die Stadt selbst weit entfernt ist von der Zerstörung. Hier ist sonst alles normal.

Alles normal erschien uns auch am Sonntag in Ernakulam. Wir wollten mit der Fähre nach Fort Cochin übersetzen, um uns den Ort anzusehen. Das Chaos am Fähranleger - der Verkäufer kam und ging und kam wieder - erschien uns ganz "indisch" normal. Irgendwann ging dann auch die Fähre, meine Cousine hat sogar einen Delphin gesehen, zumindest glaubt sie das. In Fort Cochin spazierten wir zu den chinesischen Fischernetzen. Da standen ziemlich viele Leute rum und starrten aufs Wasser. Plötzlich ein Ruf, das Wasser käme und alle sollten von der Küste zurücktreten. Aber es passierte nichts und wir wunderten uns, was das friedliche Wasser denn anrichten solle. Also spazierten wir weiter, schauten uns die Netze an und wunderten uns über die ganzen Inder, die gebannt aufs Meer starrten. Irgendeine Erklärung musste es doch geben. So erzählte ich meiner deutschen Cousine von schwimmenden Elefanten, die einmal im Jahr nach Cochin kommen, und dieser Tag sei heute. Sie glaubte mir nicht und wir gingen weiter spazieren. Mittags im Künstlercafe schnappten wir irgendwas von einem Erdbeben auf. Vielleicht war das eine Erklärung für das Starren aufs Meer?

Abends, meine Cousine war in einer Kathakali-Vorstellung, wollte ich die Faehre von Mattancherry zurück nach Ernakulam nehmen. Aber irgendwas war komisch. Der Kellner sprach von "crazy sea", an der Anlegestelle standen viele rum und schauten aufs Meer, auf die Fähre schien keiner zu warten. Die Anlegestelle war nass, Wasser musste drüber geschwappt sein. Also beschloss ich, doch auf meine Cousine zu warten, um mit ihr gemeinsam eine Autorikshaw zurückzunehmen. Ich ging wieder zu den chinesischen Fischernetzen. Hier standen inzwischen noch mehr Leute. Das Wasser war höher als am Mittag. Ich fragte nun endlich einen der auf das Meer schauenden Inder, was denn los sei. Er erzählte mir, dass es ein Erdbeben gegeben habe, dass Chennai schlimm betroffen sei und auch Kovalam. Es gebe viele Tote. Langsam fing ich an zu begreifen.

Wären wir am Sonntag noch in Chennai gewesen oder in Kovalam am Strand (an beiden Orten waren wir auf unserer Tour schon gewesen), dann hätte die Welle auch uns erwischen koennen. Denn mitbekommen hatten wir nichts, und die See sah so friedlich aus. Die Tsunami-Welle kam ganz überraschend und hat alles mitgerissen: Fischer auf ihren kleinen Booten, Fischerdörfer, Pilger und Touristen am Strand - alle ohne Ansehen und ohne Vorwarnung. In Thailand ist der Enkel des Königs eines der Opfer. Am schlimmsten hat es aber natürlich die Armen getroffen, die in einfachen Bauten direkt am Meer gewohnt haben. Sie haben zum großen Teil alles verloren. Die Häuser sind zerstört, die Boote und Netze weggetrieben, Familienmitglieder von der Strömung in den Tod gezogen worden.

In Kerala wurden bisher 161 Tote gezählt. Das ist wenig im Vergleich zu Tamil Nadu, Sri Lanka und Indonesien. Die Welle hat hier nicht direkt getroffen, sie ist um die Südspitze Indiens herumgeschwappt und hat ihr Unheil etwas abgemildert angerichtet. Die Betroffenen beklagen sich, dass offizielle Hilfe viel zu spät kam. Frauen und Kinder sind jetzt in Notlagern. Die Männer suchen weiter nach Opfern und sichern, was übrig geblieben ist, vor Plünderern. Die Zukunft sieht trostlos aus, sie haben alles verloren. Die Regierung hat daher Nothilfe zugesagt und will dafür sorgen, dass sie schnell wieder Boote und Netze bekommen. Nicht nur die Fischer auch die Tourismusindustrie ist betroffen. Westliche Touristen reisen ab oder Stornieren ihre Reise. Direkt in den betroffenen Gebieten sollten sie auch nicht bleiben, denn dort ist die Infrastruktur zusammengebrochen, es gibt kein sicheres Wasser mehr, die Gefahr von Epidemien wächst.

Das betrifft aber nur die direkte Küstenregion, schon ein paar Kilometer weg von den Zerstörungen läuft das Leben normal weiter. Insbesondere gilt dies für Touristen, die kein Malayalam verstehen. Sie erfahren das Ausmaß der Katastrophe wie ich erst aus Zeitungen, Fernsehen und Internet. Es ist also kein Grund die Reise abzubrechen. Ganz im Gegenteil, die Touristen werden als Einnahmequelle dringender als vorher gebraucht.

Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Der Tsunami im Indischen Ozean .

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